Erfahrungen einer Quereinsteigerin

Zu Anfang möchte ich sagen, dass ich noch nie zuvor in der Richtung gearbeitet habe oder sogar Kontakt zu körperlich eingeschränkten Menschen hatte. Durch die Situation, die das Coronavirus mit sich brachte, musste ich leider meinen Job in der Gastronomie aufgeben. So schaute ich mich nach einem neuen Job um und lernte Bernd kennen, ein sehr netter und lustiger Mensch. Schnell kam das eine zu dem anderen, ich hatte ein Bewerbungsgespräch und konnte nach kurzer Zeit gleich schon anfangen. Anfangs war ich sehr skeptisch, habe mich selbst gefragt, ob es wirklich etwas für mich sei. Ich hatte nie zuvor so etwas gemacht. Ich ging dort ohne Erfahrung rein.

Ich kam aber zu dem Entschluss, dass ich gerne etwas Neues ausprobieren möchte und dies eine sehr gute Chance ist. Anfangs war es schwer damit klar zu kommen, dass die Person, die vor mir sitzt, behindert ist und körperlich einfach fast nichts kann.

Das hat mich sehr eingeschüchtert und ich hatte auch Angst Sachen falsch zu machen. Doch es hat sehr schnell zwischen mir und Bernd harmoniert. Er sagte mir was er braucht und ich tat es auch. Sei es ihm etwas zu trinken zu geben oder ihm einen Keks in den Mund zu geben oder gar etwas Leckeres zu kochen und ihm etwas vor zu lesen. Auch zur Arbeit fahren und ihm helfen, sich um zu setzten, gehörte zu meinen Aufgaben. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich tonnenweise Aufgaben hatte, die ich zu erfüllen hatte aber ich musste sehr aufmerksam sein, ich musste jede Situation einschätzen können und immer und überall meine Augen haben.

Ich kann nur sagen, dass die Arbeit mit einem körperlich eingeschränkten Menschen interessant ist und sehr viel Spaß macht. Ich habe das Glück, dass ich einen so tollen Menschen kennenlernen durfte und das aufgrund einer nicht so tollen Situation. Hätte ich meinen Job damals nicht verloren, hätte ich diese tolle Erfahrung nicht machen können. Glück im Unglück kann man dazu nur sagen. Ich wünsche mir, dass viel mehr Leute aus sich heraus kommen und neue Möglichkeiten ausprobieren. Man sollte im Leben mehr Erfahrungen sammeln und offen für Neues sein.

Katharina Kukuschki

Vom vertikalen Abendbrot bis hin zum Gartenschlauch

Vorstellungsgespräch für die Stelle Behindertenassistenz: Ich klingele an der Tür. Ich wusste nicht, was ich so recht zu erwarten habe oder was ich erwarten soll. Vielleicht war das doch etwas unüberlegt sich hierfür zu bewerben… Eine Freundin hat mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht und ich beschloss, dem einfach mal eine Chance zu geben.

Im Endeffekt habe ich überhaupt keine Ahnung von Behinderten, Rollstühlen oder Sonstigem. Zu selten sieht man sie, weder in der Öffentlichkeit, auf der Straße oder beim Einkaufen. Sogar beim Arzt im Wartezimmer bin ich noch keinem überm Weg gelaufen (oder gerollt – sagt man das so?) Irgendwie komisch – wo sind die den alle?

Eine Frau öffnet mir die Tür, stellt sich kurz vor und bittet mich rein.
Am Ende des Flurs rollt plötzlich ein älterer Herr rückwärts aus einem Zimmer (raus). Er ruft fröhlich und voller guter Laune „Hi“ und hebt die Hand zu einem Peace Zeichen. Er trägt eine Cap, eine Augenklappe und strahlt mich sympathisch an. Zum Gespräch setzen wir uns raus in den Garten, wobei er ja theoretisch schon die ganze Zeit sitzt. Ich fragte mich insgeheim, ob es doch nicht langweilig ist die ganze Zeit auf ein und dem selben „Stuhl“ zu sitzen. Getraut hab ich mich aber nicht zu fragen.
Wir unterhalten uns anregend, er erzählt von sich und dem Leben im Rollstuhl und schildert mir, was dieser Job mit sich bringt und was meine Aufgaben sind. Ich bin überrascht, wie offen er mit mir über seine Behinderung spricht und wie unkompliziert das miteinander ist. Ein bisschen hat man das Gefühl einem Freund gegenüber zu sitzen und nicht einem Fremden und zugleich seinem potenziellen Arbeitgeber. Trotz meiner Unerfahrenheit all dem gegenüber, will er mir eine Chance geben und so fing ich kurze Zeit danach an, bei ihm zu arbeiten.

Der Beginn einer Erfahrung in meinem Leben, dessen Erkenntnis mir nicht bewusst war.

Als ich Freunden und Familie von meinem neuen Job erzählte, waren alle zuerst etwas verwirrt. Sie wussten nicht genau, was sie mit dieser Tätigkeit anfangen sollten, und verbanden dies direkt mit der klassischen Pflegekraft in diesem Bereich. „Musst du ihn duschen und anziehen?“ Einige aber waren auch positiv überrascht und wussten gar nicht, dass es für so eine Tätigkeit einen Job gibt. Die meisten dachten, dass es Familienangehörige übernehmen und oder Ehepartner. Eine Freundin sprach mir gegenüber sogar Bewunderung aus, dass ich so eine Nebentätigkeit ausführen würde. „Respekt, dass du dich traust, so was zu machen. Ich glaube das ist bestimmt nicht einfach wenn man mit jemanden im Rollstuhl zu tun hat“.
Jeder hatte eine Meinung und doch hat niemand von Ihnen wirklich etwas mit jemanden im Rollstuhl zu tun gehabt. „Das Leben macht doch überhaupt keinen Sinn mehr im Rollstuhl, was machen sie den ganzen Tag?“ Während ich Ihnen erklärte, was dieser Job eigentlich ist, erkannte ich, wie wichtig diese Arbeit eigentlich war – Ich bin quasi die Arme und Beine dieser Person und helfe, diese Person so gut wie möglich, am alltäglichen Leben teilhaben zu lassen und in die Gesellschaft einzugliedern. Ob es nun das Einkaufen ist, oder das Fahren von A nach B, zu treffen mit Freunden oder auch einfach mal eine Freizeitaktivität – ich bin die Person, die dies ermöglichen soll. Manchmal beschreibe ich meine Tätigkeit wie die aus der französischen Filmkomödie „Ziemlich beste Freunde“ nur weniger Glamouröser. In der Tat gibt es Ähnlichkeiten – Ich schreibe nur leider keine romantischen Liebesbriefe, sondern tippe fleißig Gedanken, Anliegen oder bürokratische Angelegenheiten, die mir diktiert werden.

Als Behindertenassistenz ist der Einblick den man in das Leben eines anderen erlangt recht groß. Es gehört schon eine Menge vertrauen dazu, sonst wäre das Zusammenarbeit kaum möglich. Man lernt in sehr kurzer Zeit sehr viel über die persönlichen Vorlieben oder aber Abneigungen dieser Person kennen. Ich wusste nicht, dass es eine Vorliebe dafür gibt, wie das Abendbrot geschnitten werden soll – diagonal oder vertikal zur Brotkruste? Aber auch Dinge wie die Lieblingskaffeemarke, die Menge an Kohlrabi und Tomate die in einer Woche verzehrt werden, das Poloshirt mit dem Kragen hoch oder runter getragen – sind alles Dinge, die plötzlich relevant werden. Dann erlebt man auch mal Tage, an dem eine Spezialbesorgungen gefragt ist. Ich hatte die Ehre ein Gartenschlauchzubehör ausfindig zu machen, ein ganz spezielles sogar – das mir wirklich ein Team an Mitarbeitern helfen mussten, um das möglich zu machen. Bei so was fragt man sich dann, was macht ein Rollifahrer mit so etwas…?

Jede Eigenart macht den Gegenüber vertrauter und umso normaler. So Normal, dass man vergisst, dass dieser jemand doch behindert ist. Den im Endeffekt ändert es nicht die Tatsache, dass sich eine Freundschaft daraus formen kann.

Natürlich gibt es auch mal Tage, da liegt es einem auf der Zuge zu sagen „Mach es doch selber“. Mach dein Bett doch selber, bring den Müll selbst raus – es sind Dinge für die man jemanden ohne offensichtliche Behinderung, blöd anmachen würden. Doch auch im selben Moment realisiert man – es geht nicht anders. Man schämt sich einen kurzen Moment. Wie selbstverständlich man doch bestimmte Dinge von anderen erwartet und wie ungewöhnlich es dann einem erscheint, wenn es jemand nicht kann. Alltägliche Geschehnisse, die man von Kindheit auf beigebracht bekommen hat und die in dieser Gesellschaft zu einer „Norm“ gezählt werden, gelten im Leben eines Behinderten nicht. Den diese „Norm“ definiert nicht den Menschen hinter all dem, sondern beschreibt eine Erwartungshaltung die von einigen einfach nicht erfüllt werden können. Dies sollte man respektieren und Akzeptieren und entgegenarbeiten. Den auch das kennenlernen von Menschen ohne „sichtbare“ Behinderung, hat mir gezeigt, dass das Problem in dieser Gesellschaft liegt. Die Aussage: „Wir Rollstuhlfahrer haben es mit unserer Behinderung leichter, die sieht man zumindest“ kriegt eine komplett andere Bedeutung, wenn man über den Tellerrand hinaus blickt.

Meine Zeit als Assistentin war eine emotionale Achterbahnfahrt und eine Erfahrung im Leben, bei der ich nicht wusste, dass ich sie so dringend machen musste. Ich hatte die Möglichkeit unglaublich anregende Gespräche zu führen, Vorurteile abzulegen, Rollstuhl zu fahren, zu lachen, zu zweifeln, Mitleid zu haben, aber mich auch glücklich schätzen zu können diesen Einblick erhalten zu haben. Ich wurde auf Themen aufmerksam gemacht, über die man nie nachgedacht, hatte und habe für mich realisiert, wie wichtig es ist, andere über all das zu informieren und aufmerksam zu machen. Für jemanden, der zu Beginn dieser Nebentätigkeit nichts über Behinderte und Rollstühle wusste, beendet die Tätigkeit als Assistentin mit einem erweiterten Horizont und einem neuen Freund.

Danke für alles, jeden Witz den du erzählt hast, deine Geduld mir gegenüber und die Möglichkeit das alles kennenzulernen.

Mila 

TEILHABE

Einst, vor mehr als 50 Jahren, war die Zeit, in der ich oft die Nähe von Erwachsenen suchte. Natürlich nur im Hintergrund, am Rande der Kaffeegesellschaften, der Familienfeiern, um zu lauschen, zu hören, von all den Geschichten, Schicksalen und Ereignissen. Ich fand immer beeindruckend, dass Erwachsene allein verantwortlich waren, für das, was sie taten, so glaubte ich zumindest seinerzeit. Dann kam die Zeit des Aufbruchs, meines Erwachsenwerdens, der Bruch mit familiären Ritualen und das Nachaußentragen von gewünschter und gewollter Individualität. Nun brachte mein Leben mit sich, dass ich trotz einiger Schicksalsschläge in die richtige Richtung gefallen bin.

Schon mit 24 Jahren übertrug eine Gemeinde mir ihre Kinder- und Jugendarbeit, und das Verantwortungübernehmen ließ zu, dass ich mich in den einzelnen Phasen meines Lebens profilieren konnte. Ich fühlte mich geliebt, umgeben von Freunden, hatte Perspektive und war stets informiert über die politische Entwicklung in unserem Land. Doch in den Anfängen der 2000er musste ich nach zehnjähriger Projektarbeit in Afrika im Zuge meiner Arbeit im Bereich meiner Einsätze im privaten und dienstlichen Bereich feststellen, dass die Ressourcen nicht mehr die Alten waren. Joggen war kaum noch möglich, weil ich immerzu stolperte. Ich taumelte gelegentlich, so dass Jugendliche fragten, ob ich einen genommen hätte. So entschied ich mich erstmals, im privaten sowie dienstlichen Bereich einen Stock zu benutzen, um nach außen ein Zeichen meiner Behinderung zu setzen.

Zweifellos, ich war krank, hatte eine Behinderung und nach Jahren der Suche kam die Diagnose auf MS – präziser ausgedrückt trug ich seitdem eine primär chronisch progrediente MS mit mir herum. Zwar konnten Menschen meiner Umgebung mit den immer schneller verlaufenden Übergängen – vom Stock zum Rollator, vom Rollator zum Rollstuhl – gut umgehen, doch irgendwann offenbarte sich die Erkenntnis, dass ich so weder im Bereich meiner Arbeitsstätte noch im Privaten allein klarkommen würde.

Außerdem bemerkte ich zunehmend einen Prozess der Vereinzelung. Früher war es oft so, dass Freunde kurz vorbeischauten, anriefen oder Aktionen mit mir vereinbarten. All dies nahm ab und es wurde immer klarer, dass das Handling mit mir für andere stets eine Erschwernis war. Und auch im familiären Bereich entschied ich mich, meine Kinder weniger zu involvieren, aus Angst, sie würden irgendwann nicht mehr kommen, weil ein Kommen ja immer auch mit Arbeit verbunden war. Ein wesentlicher neuralgischer Punkt war erreicht und ich konnte mir lang keine Perspektiven mehr vorstellen. Klar war nur, ein Pflegezentrum oder ein betreutes Wohnen in meinem Alter, in meiner Arbeitssituation, sollte so nicht sein. Zum Glück gibt es Freunde, die gelegentlich Impulse setzen können. Ein guter Freund, auch behindert, unterstützte mich in Kooperation mit meinem Arbeitgeber, eine Arbeitsassistenz über das Recht zur Teilhabe (§1, §2 SGB 9) beim LWL zu erwirken. Zum Verständnis: einen Menschen, der mich während meines Einsatzes begleitet und mir Sachen anreicht und ermöglicht, die ich allein nicht mehr bewerkstelligen kann.

Wie es so ist, wenn etwas sehr positiv verläuft, erwachte alsbald auch der Wunsch, diese Struktur auf den privaten Bereich auszudehnen. Der LWL verschaffte mir neben der Arbeitsassistenz auch eine Privatassistenz. Und mit dieser Umsetzung auch im Privaten, bin ich nun wieder ein Mensch mit Teilhabe geworden. Teilhabe am kulturellen Leben meiner kleinen Stadt, Teilhabe bezüglich privater Veranstaltungen, Kunst, Politik und Teilhabe am Leben. Jetzt, Juli 2020, ist dank meiner vielen Assistentinnen und Assistenten wieder eine Form von Leichtigkeit in mein Leben getreten. Ich bin nach wie vor ein selbstbestimmter Mensch, der selbstbestimmt ins Leben tritt – oder soll ich besser sagen – ins Leben geschoben wird? Ich bin glücklich. Zwar behindert… na und?!

Bernd Rammler, 19.07.2020

Links zu Behindertenassistenz: